40 Jahre Bergsteigergruppe im Österreichischen Touristenklub
Zum besten Klub; oder Verein, oder wie immer Du das nennen willst, kommt man oft durch verquere Art. Drei waren wir damals. Gerhard Kvicien, Helmut Meder und ich. Schulkollegen aus der »Graphischen«. Klettern wollten wir. Jung und unbeleckt, schien uns alles möglich.
Was wir später in den Bergen unternahmen, taten wir wohl leichten Sinnes; damals aber waren manche Freunde leichtsinnig.
Unter dem Hochkogelhaus (Straßenbahner Hütte) der Hohen Wand, brechen Steilwände ab. So harmlos ist die Hohe Wand nicht. Helmut und ich versuchten einen neuen Weg zu finden. Unser Dritter, der Gerhard lachte uns nur aus. Er kletterte rechts von uns auch auf neuem Wege. Ungesichert. Dass sein Griff ausbrach, dass wir in unserem Nichtwissen nicht sofort reagieren konnten, sei unserer Unerfahrenheit und unserer Jugend anzulasten.
Aber, dass wir zumindest das Abseilen beherrschten, rettete Gerhard vielleicht sogar das Leben.
Da lag er nun. Tief unter uns. Bewusstlos. »Bleib stehen!«, rief ich ihm noch hinterher. Doch er hörte mich nimmer.
Am Hochkogelhaus riefen wir die Rettung. Mit einer Trage holten der Hüttenwirt und wir unseren Freund zur Hochfläche.
Helmut fuhr, völlig geschockt, sofort nach Hause. Mir blieb nur noch eines zu tun: mit der Rettung nach Wiener Neustadt ins Spital mitzufahren, seine Wohnungsschlüssel an mich zu nehmen, die Wohnung seiner Eltern aufzusperren – und: auf seine Eltern zu warten.
Ich habe keine Feinde – aber selbst, wenn ich welche hätte, niemandem wünschte ich, den heimkehrenden Eltern mitteilen zu müssen, dass ihr Sohn im Koma liegt. Belogen habe ich sie natürlich auch. Erkläre einem alten Hasen, wie Gerhards Vater, dass sein Sohn »nur« dreißig Meter abgestürzt ist (ein dreistöckiges Haus misst etwa 12 Meter), obwohl Gerhard erst nach rund achtzig Metern an einem Baum zerschellte . . .
Gerhards Mutter versuchte, tapfer zu sein.
Sofort mit dem Taxi ins Spital. Blutspenden. Auch Gerhards Vater ist mit »0 neg.« Allesspender. Die Verletzungen, die Gerhard erleiden musste, waren erschreckend: Platzwunden, Gehirnprellung, Nierenquetschung, Fraktur des Steißbeins, beide Arme gebrochen. Es war ganz einfach alles ganz grauslich.
Die Genesung schritt nur zögernd voran. Es dauerte entsetzlich lange, bis Gerhard wieder denken konnte. Mit dem Klettern war es aber vorbei. Nach einigen gemeinsamen Klettereien (Raxalpe, Blechmauernriss und Schneeberg, Richterweg) war ich mit Helmut nur noch in den Lienzer Dolomiten und in den Zillertaler Alpen. Danach habe ich auch ihn aus den Augen verloren.
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Herbst wurde es. Ich musste wieder hinaus. Schon der Felsgeruch kann Dich wukki machen. Um böse Träume zu verwischen, nahm ich mein Seil und entdeckte neue Abseilfahrten auf der Hohen Wand. So neu wiederum auch nicht. Die hat der Domprälat Alois Wildenauer schon vor langem entdeckt. Auch einige versicherte Steige konnte ich erklettern.
Müde schon, kehrte ich in der Wilhelm-Eichert-Hütte ein. Welch ein lustig’ Treiben herrschte da. Abschlussfeier der Bergsteigerschule des ÖTK. »Was bitte ist das, ÖTK?«. Aufgeklärt wurde ich sehr schnell. Gerhard Schirmer und Hermann Schindler, beide damals Angehörige der Jungmannschaft, entführten mich ins »Schmauswaberlhaus«, die Zentrale des Österreichischen Touristen-Klubs. Bäckerstrasse 16. Danke!
Jetzt hatte ich meine Heimat gefunden. In einem Kreis bergbegeisterter Mädel und Burschen fühlte ich mich vom ersten Klubabend an wohl. Das war es, was mir bisher gefehlt hatte. Dazu kamen noch die demokratischen Grundsätze. Alle vier Jahre wurde der Jungmannschaftsleiter gewählt. Der erste, den ich kennenlernte, war »Biwako« Pauli Lhotka. Obzwar er, aufgrund einer Polioerkrankung, ein atrophiertes Bein hatte, unternahm er mit seinem Partner Walter Gstrein die extremsten Touren. Ihm folgte Heli Drachsler, der allerdings aus Zeitmangel (Abendstudium) die Leitung wieder abgeben musste. Ich hatte mich mittlerweile so in die Gemeinschaft integriert, dass ich zum nächsten Jungmannschaftsleiter gewählt wurde. Das blieb ich auch bis zur Gründung einer eigenen Familie.
Kein Wochenende verging ohne Kletterfahrten. Da viele unserer Gruppe schon sehr erfahrene Bergsteiger waren, gewann ich schnell an Sicherheit und Können. Die Tüchtigsten wurden in die Klub-Elite, die Bergsteigergruppe, aufgenommen. Das war auch mein Ziel.
War mir Hermann Schindler der erste wirkliche Kletterpartner, so führte mich Gerhard Schirmer in die geheimnisvolle Welt der Höhlen ein. Und BG-Kamerad Erich Vanis machte mir Eistouren schmackhaft.
Mit wechselnden Partnern und Partnerinnen wurden viele Touren unternommen. Karl Kosa war es dann, mit dem mir die extremsten Klettereien gelangen: auf den Hausbergen, im Gesäuse, Wilden Kaiser, Hochschwab, Dolomiten.
Mit Walter Knezicek und Erich Vanis verbrachte ich eine unvergessliche Woche im Argentiere-Kessel des Mont Blanc. Schartenspitzkante (Hochschwab) und Triglav-Nordwand (Julische Alpen) folgten.
Aber man wird älter, die Wertigkeiten verschieben sich. Beruf, Familie, Kinder bedürfen nun der Zeit, die vormals so sorgenlos in den Bergen verbracht wurde.
Ja, man hält schon noch Kontakt, aber sonst . . .
Nun bin ich schon Pensionist, genieße diese neue Freiheit und die Tatsache, dass sich verlorengeglaubte Freunde wieder melden.
Nun, das waren 40 wundervolle Jahre in der BG des ÖTK, der noch die Zeit in der JM hinzugerechnet werden sollte. Ich hoffe, dass mir noch etliche Jahre vergönnt sein mögen . . .