Ebnerweg im Winter

»Ebnerweg«, diese Bezeichnung bedarf einer Vorbemerkung: Der eigentliche Name dieses Anstieges in den Lechnermauern der Raxalpe lautet »Hans-Ebner-Gedächtnisweg«.

Ich lernte Hans in der Haindlkarhütte des Gesäuses kennen. Meine bergsteigerischen Fähigkeiten reichten eben noch für den Peternpfad und den Josefinensteig über den Gugelgrat auf das Hochtor. Ich war alleine und hatte noch eine Woche Zeit, bis ich mit meinen Kameraden im Glocknergebiet zusammentreffen sollte. Das Gesäuse kannte ich noch nicht, das darf nicht verwundern, was kannte ich denn schon. Wie gesagt, nach dem Hochtor lernte ich Hans kennen.

Er führte mich tags darauf durch die Dachlschlucht, um mir den berühmten »Domüberhang« zu zeigen.

Wie hätte ich damals ahnen können, dass ich in nicht allzu weiter Zukunft diesen Überhang mit Genuss durchklettern werde können. Ist er doch eine der Schlüsselstellen der berüchtigten Rosskuppe-Dachl-Nordverschneidung.

Hans schenkte mir ein Holunderblatt, das vom Standplatz beim Hollerbusch dieser Tour stammte. Ein Bergführer hatte es ihm gegeben.

Holunderblatt

Ich hielt es damals schon in Ehren, mit dem unbestimmten Gedanken, dereinst selbst so ein Blatt zu pflücken.

Der Ebner-Hans war vom Schicksal nicht eben verwöhnt worden. Als Vollwaise wuchs er bald bei diesen, bald bei jenen Mildtätigen auf, die in ihm allzu bald eine billige Arbeitskraft fanden. Bar jeglicher Ausbildung, ohne Freunde und ohne Freude, entwickelte er sich doch zu einem liebenswerten Menschen. Das sei all denen ins Stammbuch geschrieben, die eine lieblose Kindheit gerne als Ausrede für alle Verbrechen und Schweinereien gebrauchen, was heute offenbar schon Norm ist.

Hans fand später Arbeit im Sägewerk Gstatterboden. Aber auch hier blieb ihm sein »steinernes Glück« treu. Die Gattersäge trennte ihm den rechten Daumen ab. Nur ein Moment der Unaufmerksamkeit, und . . .

In einer beispiellosen Operation gelang es, seinen Mittelfinger an Stelle des Daumens einzusetzen. Das erhielt ihm nicht nur seinen Arbeitsplatz.

Früh schon befasste er sich mit dem Bergsteigen. Immer alleine. Aber gleichalterige Freunde hatte er eben nicht. Ich erzählte ihm von meiner Jungmannschaft. Ja, das wäre halt was für ihn. Aber wo ist Wien und wooo ist er!? Im darauffolgenden Winter besuchten wir ihn. Das war ein Hallo. Du kannst dir keinen seligeren Menschen vorstellen.

Gemeinsam stiegen wir zum Buchsteinhaus auf. Hans hatte am Buchstein alleingehend einen neuen Durchstieg gefunden. Den wollte er uns zeigen.

Etwa sechzig Höhenmeter konnte die erste Seilschaft der Wand abtrotzen, dann war Schluss. Es war ein zu grimmiger Wintertag. Schneidende Kälte, Schneefall und Sturm ließen uns scheitern.

Was soll’s; – der Berg ist kein Frosch, der hüpft nicht davon. Dann eben ein andermal.

Noch im selben Winter kam Hans nach Wien. Wir hatten das Gaisloch als Ziel erwählt. Mitsammen fuhren wir mit dem Zug nach Payerbach-Reichenau. Dann weiter per pedes zum Weichtalhaus. Über die Schönbrunner Stiege und dann mit den Tourenskiern durch das Große Höllental zum Talschluß; – eben dem Gaisloch. Wo im Sommer unablässig Wasser über die Wände rieselt, ist im Winter der Fels unter meterdickem Eis verborgen. Eine rassige Eiskletterei mit Aufschwüngen bis 80°.

In mehreren Seilschaften durchstiegen wir diesen märchenhaft glitzernden gefrorenen Wasserfall.

Abseilend erreichten wir wieder sicheren Boden und mit den Skiern teufelten wir talaus.

Nun war es ausgemacht: wir sollten Hans immer mitteilen, was wir vorhaben, wenn es ihm möglich war, wollte er stets mit uns zusammentreffen.

HansEbner1 2

Es sollte nicht sein. Noch im darauffolgenden Frühjahr stürzte Hans auf »seiner« Route tödlich ab. Kurz nur währte unsere Freundschaft, aber der Hans, der war schon etwas besonderes. Es ist seltsam; – manche Menschen kennt man schon ewig und wenn sich die Wege trennen, bleibt nichts. Oft nicht einmal ein Name.

Vom Ebner-Hans sprechen wir auch heute nach Jahrzehnten noch, wenn wir ins Gesäuse fahren, oder das Gaisloch durchsteigen.

Wenn auch sein Grab auf dem kleinen Bergsteigerfriedhof in Johnsbach aufgelassen wurde, so haben wir ihm hier in den Lechnermauern der Raxalpe, unweit des Gaislochs, doch ein dauerhafteres Andenken gewidmet: Den »Hans-Ebner-Gedächtnisweg«.

Wie lange liegt das nun schon zurück. 1963 gelang mir mit Karl Kosa dieser Anstieg. Zum Teil hakentechnische Kletterei fordernd, weist er doch den Schwierigkeitsgrad VI auf. Also alles andere als ein Spaziergang.

Wir schreiben das Jahr 1970 als wir zu viert über Ottohaus und Dirnbacherhütte Richtung Lechnermauern spuren.

Mein Partner ist diesmal Sylvio Weilguny. Mit uns sind Roland Rochefort und Gerda Teschler.

Zum Jahreswechsel 1969/70 sah es nicht besonders nach Schnee aus, aber nun im Spätwinter 70 gibt es übergenug davon. Und kalt ist es. Eiskalt. Nein das wird sicher kein Spaziergang. Abwechselnd spuren wir durch den tiefen Schnee.

Es ist schon Mittag, als wir einsteigen. Wo ist bloß die Zeit geblieben? Aber kein Grund zur Klage. Waren wir doch frühmorgens noch in Wien.

Langsam kommen unsere Seilschaften in Schwung. Wir gewinnen trotz der Kälte rasch an Höhe. In der Buchnische nach dem berüchtigten Wulst mit der Knotenschlinge beschließen Sylvio und ich auf die Kameraden zu warten.

Apropos Buchhöhle: Klubkamerad Ali Schmölz hat aus Kupfer und Messing eine kunstvolle Kassette getrieben, in die ich nur noch das Steigbuch legen musste. Eine wahrlich schöne Arbeit.

Nun, wir warten auf Roland und Gerda. Der Himmel trübt sich zusehends ein. Haben uns die letzten Seillängen noch erwärmt, so ist die Kälte jetzt doppelt fühlbar. Statt Zähnen scheinen wir Kastagnetten im Mund zu haben. Es dämmert bereits, als die Freunde zu uns aufschließen. Sylvio führt die nächste Seillänge, die mit den Schlingenholzkeilen.

Das wird mir, wenn wir weiterhin die Führung wechseln, eine böse Wandstelle ersparen, die 1963 Karl Kosa meisterte. Es heißt doch nicht umsonst: Eigennutz geht vor Gemeinwohl (oder so ähnlich). Aber, der Wolf denkt; – gelenkt hat jemand anderes. In einem eleganten Looping segelt Freund Weilguny an mir vorbei. Er hat aber keine Möglichkeit, weit zu stürzen. Ich habe ihn sofort abgefangen und mit Seilunterstützung klettert er wieder zurück zur Buchhöhle.

Aber Sylvio hat sich bei seinem Kunstflug beide Schienbeine aufgeschlagen. Nicht weiter schlimm, aber vorausgehen kann er jetzt nicht mehr. Also führe ich bis zum Ausstieg. Der nächste Überhang war es der eben mit Schlingenholzkeilen überlistet wurde. Eine dieser Schlingen ist unter der Belastung durch den Freund gerissen.

Rücksichtslos schlage ich Haken dazu. Was folgt ist der Überhang nach dem Überhang zu einer überhängenden Querung nach rechts, hängend über einem bodenlosen Abgrund, aus dem schon die kommende Nacht steigt. Über einen weiteren Überhang erreiche ich eine steile Rinne und endlich den Standplatz unter der Kosa-Wand.

Meine Kameraden haben sich durch ein Seil verbunden, so dass wir nun zu viert, wohl langsamer, aber bei weitem sicherer unterwegs sind.

Der Luxus von Stirnlampen war uns noch fremd, doch eine kleine Taschenlampe zwischen die Zähne geklemmt, gibt mir genug Licht, um die beiden letzten Seillängen zum Ausstieg zu führen. Alles ist möglich, aber nicht wenn man will, sondern wenn man muß. 

Völlig durchnässt, durchfroren und entsprechend müde stapfen wir die letzten Meter empor.

Was nun kommt, hättest du niemals erraten. Am Ausstieg stehen mein Freund und Bergkamerad par excellence Walter Knezicek und Peter Maresch. Heißer Tee und trockene Pullover erwarten uns. Die beiden haben auch den Weg übers Klobentörl zur Dirnbacherhütte gut vorgespurt und frisch gestärkt steigen wir ab.

Noch ist unsere Tour nicht vorbei. Wir schnallen die Skier an und fahren das lange Tal gegen das Gaisloch hinaus.

Vollmond gibt uns genügend Licht, so dass wir auch das völlig vereiste Gaisloch, mangels Steigeisen, doch mit einigen gewagten Abseilmanövern hinter uns bringen. Auch das Ablassen der Rucksäcke und der Skier war nicht völlig frei von abenteuerlichen Momenten.

Kaum haben wir uns im Kar versammelt, hieß es anschnallen und hinab durch das Große Höllental zum Weichtalhaus. Dort fallen wir todmüde knapp nach Mitternacht aufs Lager.

Ein großes Abenteuer ist zu Ende.