Zeit lassen . . .

Auszüge aus dem Roman-Fragment

Am 7. Juni 1941 wurde ich im Wilhelminenspital in Wien-Ottakring geboren. Das erste Lebensjahr jeglichen Menschen vergeht ja völlig erinnerungslos. Das Erinnern, und zwar so genau, als wär’s erst gestern gewesen, setzte ein, als ich bewusst die Sirenen und im Volksempfänger den Kuckuck als Warnung vor Bomberverbänden der Alliierten, wahrnahm. In Wien lebten zu dieser Zeit hauptsächlich alte Frauen und junge mit ihren Kindern sowie einige Männer, die für den Kriegsdienst unbrauchbar waren. Dazu mussten sie aber schon sehr alt und/oder krank sein. Alle anderen waren ja, undank der Generalmobilmachung einrückend gemacht worden.

Mag sein, dass ich mir damals die Gelassenheit und Contenance erworben habe, die mich nur selten im Stich ließ, aber in manch prekärer Situation die richtige Entscheidung erst ermöglichte…

Diese Nervosität, ja Hektik bis hin zur Hysterie, in die damals alle Frauen in unserem Haus ausnahmslos ausbrachen, wird mir auch heute noch vollends unverständlich bleiben. Den Bomben bist du ja völlig hilflos ausgeliefert. Ich verstünde noch, wenn die Christen geflucht und die Heiden gebetet hätten; – aber Panik verunmöglicht jegliches rationale Denken und Handeln. Ich weiß noch, dass wir Kleinen, der Seidelböck-Helmut, der Negerle-Peter der Chmela-Horsti und die Novotny-Buben in den Keller getragen wurden. Hier wurden wir in Decken gewickelt und in Waschtröge gelegt. Wir hätten sicher geschlafen. Trotz der bald ferner, bald näher einschlagenden Bomben. Aber die Frauen schrieen sich bei jedem Einschlag die Seele aus dem Leib. Verständlich, dass auch wir Kleinen mit Gebrüll einstimmten. In einer derartigen Situation hülfe tatsächlich nur Gelassenheit.